18. September 2010

Wanderung Rehhag

 

Sachte täppeln wir zu acht den steilen Weg bergan. Unter uns, eng ineinander gebettet  noch in einem Hauch von lichtem Morgennebel, das Strassendorf Waldenburg. Über uns, im leicht herbstlich gefärbten Buchenwald versteckt, die Ruinen einer einst bedeutenden hochmittelalterlichen Burg der Grafen von Frohburg, den Zofingern bestens bekannt, hat diese Dynastie doch ihre Stadt erbaut. Aus den verkehrs- und wirtschaftspolitischen Interessen dieses Herrschergeschlechtes kann geschlossen werden, dass die treibende Motivation zum Bau der Anlage auf der Erhebung von Strassenzöllen und der monetären Abgeltung von Säumerdiensten lag. Der Gesinnungswandel nach der französischen Revolution führte dann 1798 dazu, dass unter der Parole Freiheit und in heiligem Volkszorn gegen die Obrigkeit das stolze Bauwerk angezündet wurde. Der amtierende Vogt hatte Lunte gerochen und sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Werner weist uns auf eine kleine Felsplattform. Von dort aus lässt sich die einstige Trutzburg mit gutem Überblick betrachten und zugleich auch ihre so ertragreiche Einkommensquelle, die Passstrasse unten im Tal. Das  Burgareal verlassen wir durch ein kleines Steintor. Von dort führt der Weg durch Wald über den lang gezogenen Rücken der Gerstelflue. Weiter ansteigend, nun schon im Klettergebiet Rehhag, gelangen wir an senkrechten Felswänden vorbei und dann ganz oben etwas flacher dorthin, wo unsere Grossväter einst das Vaterland verteidigt haben, auf die Lauchflue. Den Znünihalt machen wir auf einem mit Stahlkappe gepanzerten militärischen Beobachtungsposten und diskutieren über das harte Soldatenleben zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Bei guter Sicht konnte von hier aus „bequem“ und perfekt getarnt das untere Baselbiet bis hin zum Schwarzwald überwacht werden. Die Fortsetzung des Höhenweges birgt neue Überraschungen. Immer wieder tauchen im Wald kleinere und grössere Betonbunker und zerfallene Schützengräben auf. Nicht weniger als vierzig Kilometer lang soll das ursprüngliche Verbindungs- und Verteidigungssystem der zickzackförmigen Karpatengräben gewesen sein. Offenes Gelände mit weidenden Kühen und die Aussicht über die gewellten Jurahöhen lassen uns die triste Grenzbesetzungszeit von damals vergessen. Infolge der tief hängenden Wolken und der damit verbundenen geringen Fernsicht, entscheiden wir beim Chilchzimmersattel, die Belchenflue nicht zu besteigen. Wir umrunden den Hügel Ruchen, steigen steil ab durch Wald und entlang dem Dürstelbach bis zum Restaurant Dürstel. Waren es die einladend geschmückten Tische vor dem Gasthaus oder der bisher bestens gelungene Verlauf der schönen Wanderung, die Werner veranlassen, einen Apéro zu spenden? Diese Frage zu klären wird aber bald unbedeutend, denn wenige Minuten nach unserer Ankunft sitzen wir gemütlich beisammen, diskutieren über Gott und die Welt und vergessen fast die Zeit. Beim Aufruf zum Mittagessen lassen wir uns nicht zweimal bitten. Es hat vorzüglich gemundet und mit vollem Bauch begeben wir uns auf die bevorstehende Wegstrecke hinunter nach Langenbruck. Diese Gemeinde ist die höchst gelegene im Kanton Baselland. Das Dorf schafft es seit fast 200 Jahren als Kur- und Erholungsort bekannt zu sein. Weiter stammen zwei illustre Persönlichkeiten von dort: Pierre Graber als Bundesrat, allerdings nur heimatberechtigt und Oskar Bider, ein echter „Langenbrüggler“, als junger Bauer in Argentinien, vom Heimweh geplagt kehrt er zurück, macht in Pau am Fusse der Pyrenäen sein Fliegerbrevet, kauft sich eine „Blériot XI“, überfliegt als erster die Pyrenäen von Pau nach Madrid und die Alpen von Bern nach Mailand. Im Alter von nur 28 Jahren stürzte er in Dübendorf tödlich ab. Er hatte sich in besoffenem Zustand zur Ausführung von Flugakrobatik verleiten lassen. - Reich an neuen Eindrücken schlendern wir durch die Hintergassen des Dorfes, löschen den Durst in einer Beiz und treten die Heimreise an. Wir alle danken Werner für die gute Vorbereitung und die reibungslose Durchführung dieser interessanten Wanderung.

H.R. Odermatt